Napoleons EinflussWie sich Köln unter französischer Besatzung veränderte – Historikerin untersucht Eheschließungen

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Zu sehen ist die Historikerin Claudia Wendels an einem Tisch sitzend in der Vorderansicht. Auf dem Tisch liegen mehrere Bücher.

Historikerin Claudia Wendels mit ihren jüngsten Buchveröffentlichungen.

In Köln war Liebe im Jahr 1800 nur in den seltensten Fällen das Motiv für eine Hochzeit.

Es änderte sich viel für die Kölner, nachdem die französischen Revolutionstruppen am 6. Oktober 1794 ihre Heimatstadt ohne jegliche Kampfhandlungen eingenommen hatten. Kirche und Adel wurden ihrer Privilegien beraubt, Klöster aufgelöst, die Verwaltung gestrafft und reformiert.

Ferdinand Franz Wallraf trieb im Auftrag der neuen Machthaber den Kölner Straßennamen das Ordinäre aus: Aus der Pissgasse wurde das Börsengässchen („Passage de la Bourse“), aus der Kotzgasse die Kostgasse („Rue des Traiteurs“). Nach langer Zeit durften sich wieder Juden und Protestanten in Köln niederlassen. In gewisser Weise endete für die Kölner das Mittelalter, als die Truppen Napoleons das Ruder übernahmen.

Die Kirche verlor ab 1798 an Einfluss

Was Historikerin Claudia Wendels in den vergangenen fünf Jahren in ihrer Freizeit beschäftigte, waren in erster Linie die Heiratsurkunden, die in den französischen Jahren zwischen 1798 und 1814 im Kölner Standesamt ausgestellt wurden. Die Kirche verlor ab 1798 an Einfluss. Pfarrer durften Personenstandsereignisse wie Geburten, Taufen, Hochzeiten oder Sterbefälle zwar noch immer registrieren, Rechtskraft besaßen die Kirchenbücher aber nicht mehr.

Juristisch zählte ab jetzt nur noch, was im Rathaus dokumentiert wurde. Und das war ziemlich detailliert. „Was wir immer den Preußen zugeordnet haben – die Genauigkeit – haben zumindest im Rheinland die Franzosen eingeführt“, sagt Claudia Wendels.

Eine alte Aufnahme zeigt das Kölner Rathaus etwa 100 Jahre nach franzsischer Besatzung.

Das Kölner Rathaus (Aufnahme nicht aus französischer Zeit, sondern etwa 100 Jahre später).

Die 68-Jährige untersuchte für eine Buchveröffentlichung genau 5427 zivilrechtliche Eheschließungen, die damals auf Französisch beurkundet wurden und heute im nordrhein-westfälischen Landesarchiv in Duisburg lagern. Sämtliche Angaben aus den Dokumenten übertrug sie in übersichtliche Tabellen, die allein drei dicke Bände mit 4,3 Kilo Gewicht füllen. Dazu kommt eine 222-seitige Auswertung der Quellen.

„Eheschließungen in Köln während der französischen Zeit“ ist ein Mammutwerk der Quellenforschung geworden. Aber auch ein Herzensprojekt, das den detektivischen Spürsinn der Autorin anstachelte. Seit mehr als 30 Jahren widmet sich Claudia Wendels leidenschaftlich historischen Auflistungen aller Art. Das jüngste Projekt jedoch sei das bislang spannendste gewesen.

Liebe nur in seltenen Fällen Motiv für eine Hochzeit

Nachdem die Kirchen über Jahrhunderte hinweg eher spärliche Angaben zu Eheschließungen festgehalten hatten, wollte es das französische Zivilstandswesen genauer wissen. Aufgeführt werden in den Heiratsurkunden nicht nur die Namen der Eheleute, sondern auch die der Eltern und der vorgeschriebenen vier Trauzeugen. Dazu kamen Angaben zum Alter, Beruf und Wohnort sowie die Unterschriften aller Beteiligten. In welcher verwandtschaftlichen Beziehung stehen die Trauzeugen zum Brautpaar? Waren die Brautleute Findelkinder? Bringt die Braut Kinder mit in die Ehe?

All das lässt sich nachlesen, teilweise jedenfalls. Für Claudia Wendels eine Fundgrube, aus der sie nicht nur eine Fülle statistischer Angaben destillierte, die Rückschlüsse auf gesellschaftliche Konventionen der damaligen Zeit zulassen, sondern auch manch pikante Episode. Auf Kölner, die eine Hochzeit platzen ließen, nur um wenige Wochen später andere Partner zu heiraten, stieß sie nicht nur einmal.

Ehen konnten unter französischer Herrschaft erstmals auch zivilrechtlich geschieden werden. Was sich nicht änderte: Liebe war nur in den seltensten Fällen das Motiv für eine Hochzeit. „Ehen waren Zweckgemeinschaften, wichtig war das wirtschaftliche Überleben“, sagt die Autorin.

Heirat im Schnitt sechs Jahre früher als heute

Laut „Code Napoléon“ von 1804 betrug das Mindestheiratsalter für Männer 18 Jahre, für Frauen 15. Geheiratet werden durfte über alle Schichten hinweg, doch man blieb gerne unter seinesgleichen. Entscheidend für einen „Bund für‘s Leben“ war oft die gleiche Berufsgruppenzugehörigkeit von Bräutigam und Brautvater beziehungsweise von Bräutigamsvater und Brautvater. „Besonders ausgeprägt war dieser Einfluss bei den künstlerischen Berufen“, so Claudia Wendels.

In 41 Prozent der Fälle übten heiratende Söhne zudem den gleichen Beruf wie der Vater aus. Interessant auch: Im Schnitt waren Männer bei ihrer Hochzeit 31,5 Jahre alt, die Frauen 29,1 – damit heiratete man damals sechs Jahre früher als heute. 6,1 Prozent der Bräute waren mindestens zehn Jahre älter als ihre Ehemänner. Heute liegt diese Quote bei 0,9 Prozent.

Heiratsurkunden geben Hinweis auf Bildungsgrad

Die Unterschriften der Heiratsurkunden verrieten Claudia Wendels Vieles über den Bildungsgrad der damaligen Zeit. Signieren mussten sowohl die Brautleute als auch die Trauzeugen. „Doch es gab sogar Hochzeiten, bei denen kein einziger unterschrieben hat“, sagt die Historikerin. Es fehlte ihnen schlicht die nötige Bildung. In Köln, das im Jahr 1800 mit rund 42 000 Einwohnern bereits als Großstadt galt, sei die so genannte Signierfähigkeit unterdurchschnittlich ausgeprägt gewesen: „Der männliche Kölner konnte noch seltener unterschreiben als Männer vom Dorf.“

Kölner Frauen waren im Schreiben zwar noch ungeübter als die Männer, aber immerhin besser als Frauen im dörflichen Umfeld. Kölner Persönlichkeiten, die noch heute bekannt sind, widmete die Wissenschaftlerin längere Kapitel. Karl Anton Farina aus der berühmten Duftwasser-Dynastie („Eau de Cologne“) fungierte zwischen 1799 und 1812 gleich acht Mal als Trauzeuge. Der Universalgelehrte Ferdinand Franz Wallraf war zugegen, als Verleger und Handelsmann Johann Markus Theodor Michael Hubert DuMont am 8. August 1805 die aus Düsseldorf stammende Maria Katharina Jakoba Schauberg heiratete.

Zu sehen ist eine Heiratsurkunde aus dem Jahr 1810.

Heiratsurkunde aus dem Jahr 1810.

Johann Bernhard Kaspar Boisserée, einer der reichsten Männer Kölns, vollzog in französischer Zeit als Zivilstandsbeamter mehr als 1000 Trauungen, war fünf Mal als Trauzeuge gefragt und heiratete 1799 selbst. Heute unbekannt, aber hinsichtlich seiner Herkunft exotisch, der Arzt Joseph Claude Rougemont, der im heutigen Haiti geboren wurde und 1798 in Köln landete. Hier ehelichte er die 39-jährige Anna Maria Walburga Josefa Xaveria Cassinone, Tochter eines reichen Kölner Kaufmanns.

Für die Kölner „High Society“ hatte der französische Kaiser Napoleon ganz besondere Pläne, die jedoch kläglich scheiterten. 1810 ordnete die französische Regierung eine Aufstellung aller ledigen weiblichen Personen ab 14 Jahren an, die aus vermögendem Kölner Hause stammten. Um die eroberten Gebiete enger mit Frankreich zu verknüpfen, sollten sie mit Franzosen aus dem Adelsstand verbandelt werden.

Davon erhoffte sich Napoleon auch finanzielle Vorteile: Die Mitgift würde ihn von der Pflicht entbinden, die Honoratioren mit Geldzuwendungen zu bedenken, so die Überlegung. Als die Liste mit den Namen von 32 Frauen nach einigen Verzögerungen endlich vorlag, stieß das Ansinnen in den gehobenen Kölner Kreisen auf Ablehnung. Keine einzige der Damen heiratete einen Franzosen. In den mittleren und unteren Schichten gelang die deutsch-französische Annäherung umso besser: Etliche „kölsche Mädcher“ traten mit einem Franzosen vor den Standesbeamten.


Claudia Wendels, „Eheschließungen in Köln während der französischen Zeit“, Auswertung und tabellarische Wiedergabe aller Heiratsurkunden von September 1798 bis Januar 1814, 4 Bände, 1914 Seiten, Selbstverlag.

Die Bücher können für 39 Euro zuzüglich sechs Euro Versandkosten unter Dr.Claudia.Wendels@t-online.de bestellt werden. Von jedem Verkauf gehen 10 Euro an den Förderverein der Severin-Schule Köln für blinde und sehbehinderte Kinder. Nähere Informationen unter www.bevoelkerungsliste-koeln.de.

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